Lydia Bintener
Das Bild der wilden Kuh
Aktualisiert: 1. Sept. 2020
Als ich jung war, ... da war alles anders.
Denkste!
Lang ist es her und vieles scheint vergessen.
Doch ist es wirklich so? Mir scheint dass mit zunehmenden Alter die konkreten Erinnerungen an die Kindheit zunehmen.
Neulich habe ich mich mit einer Bekannten über vergangene Zeiten unterhalten.
Frage: „Geht es dir auch so, dass längst Vergessenes plötzlich ganz präsent ist, so deutlich als wärst du 50 Jahre jünger?“
Ernst gemeinte Frage, klassische Antwort:
„Das wirst du mit zunehmendem Alter immer öfters erleben. (Wohlgemerkt die Bekannte ist 10 Jahre älter als ich. Da bleiben mir noch ein paar Jährchen, aber die Aussicht auf die Zukunft verspricht).
Du fragst dich: Was hat das Ganze mit einer wilden Kuh zu tun?
Das erzähle ich dir.
Heute war ich einige Kilometer wandern.
......
Alleine.
Ich wollte meine Gedanken ordnen und sehen ob ich mein Ziel erreichen kann.
Ich habe mir vorgenommen in fünf Tagen unser Land von Süden nach Norden zu durchwandern. Um die 100 Km, zwischen 20 -25 Km am Tag. Gott sei Dank ist die Fläche des Landes überschaubar! Im Moment steht deshalb regelmäßiges Training auf dem Programm. So auch heute.
Mit GPS App bewappnet habe ich mich am Morgen auf den Weg nach Norden gewagt. Ich wollte die erste Etappe teilweise auskundschaften.
So weit so gut.
Da ich kein Orientierungtalent bin, verlasse ich mich natürlich auf meine App.
Wanderkarten brauchst du heute nicht mehr, ich bin „up to date“, meine Tochter wäre stolz auf mich. So sind sie halt, die jungen Leute. Bist du online, bist du cool.
Langer Rede kurzer Sinn.
Die App hat sich irgendwann unterwegs verabschiedet und ich bin wie ein orientierloses Huhn durch die Gegend gestreift. Mal rechts, mal links, die Richtung ungefähr erahnend. Wird schon! Auch wenn ich etwas unruhig werde. Meine innere Stimme sagt mir: du bist nicht im Urwald, du bist im Wald.
Ich bahne mir meinen Weg über Stock und Stein. Dabei zeigt eine Waldlichtung mir unverhofft den Weg. Entschlossen wandere ich in Richtung Wiese.
Und plötzlich kommt aus dem Nichts eine Kuh geradewegs auf mich zugelaufen.

Und dann war sie da, die wilde Kuh.
Ein „déjà vu“ (schon erlebt) Erlebnis, ein Flashback ,
Anfang 70ger Jahre.
Das kleine Stadtmädchen darf in den Ferien zur Oma, in die Natur, nicht weit von einem Bauernhof, inmitten der Felder.
Hätte ich damals bloß auf die Oma gehört. Nicht über den Zaun zum Stier laufen, hatte sie mich gewarnt. Und dann hatte ich es doch getan. Ich stand beim Stier am Wassertrog, als Oma Anna schreiend, mit einem Tuch wedelnd am Zaun entlang lief. Genau wie jetzt
stand ich damals wie angewurzelt an der Wasserstelle.
Der Stier auf der einen Seite, das ungehorsame Mädchen auf der anderen. Das Tier, irritiert durch dies schreiende Oma,starrte in meine Richtung und begann mit dem Huf zu scharren.
Bis heute weiß ich nicht wen der Stier angestarrt hat, die wilde Oma oder mich.
Diese Bilder sind allerdings für einen Augenblick so präsent, als wäre es gestern gewesen. Im Laufe der Jahre habe ich mich kaum an dieses Erlebnis erinnert. Doch jetzt hat die Kuh es geschafft, ein Gefühl von Angst und gleichzeitig warme liebevolle Erinnerungen zu vermitteln.
Zurückblickend bleibt allerdings die Frage offen wie die Oma es geschafft hat, mich aus den Fängen der wilden Kuh zu retten?
Ich kann mich nur noch ungenau an das Nachspiel zu Hause erinnern.
In die Nähe eines Stiers habe ich mich seither nicht gewagt.
.
.
.
.
Mittlerweile bin ich wieder zu Hause studiere die Wanderkarten.
Sie geben mir dann doch eine gewisse Sicherheit, wenn in den nächsten Tagen die Wanderaktion konkreter angehe.
Ich werde darüber berichten.
Bis dann
Lydia und die wilde Kuh